Holzschiff im Alpenmoor
Aus privater Hand: Mit arlberg1800 wurde gerade ein neuer Kammermusiksaal mit angeschlossener Kunsthalle eröffnet.
In der dünnen Höhenluft reifen mitunter ambitionierte Pläne. In St. Christoph am Arlberg entstand auf 1.800 Metern nicht nur der höchstgelegene Konzertsaal der Alpen. Ergänzt wird der privat finanzierte und betriebene Bau von einer Kunsthalle, mit der junge Talente gefördert werden sollen.
Museen sind eine sichere Angelegenheit. Man füllt den Bau eines bekannten Architekten mit Arbeiten noch bekannterer Künstler, und schon strömen die Besuchermassen wie von selbst in die tiefste Provinz. Einen etwas steinigeren Weg geht derzeit der Hotelier Florian Werner auf 1.800 Höhenmetern. Das elterliche Arlberg Hospiz Hotel in St. Christoph gehört zu den bekanntesten Skiherbergen der Alpen und zählt Staatschefs wie Hochadel zu seinen Gästen. Lag deren Interesse bisher klar bei Wintersport, Sterne-Küche und abendlichen Weingelagen – der Bordeaux-Keller des Hauses ist legendär mit über 2.000 Flaschen im 12-Liter-Plus-Format – erweitert Werner das Hotel nun um das private Kulturzentrum arlberg1800 mit Kammermusiksaal und angeschlossener Kunsthalle.
Rezeption und Produktion
Dabei hat der Hotelier etwas Lebendigeres im Sinn als den üblichen musealen Betrieb. Mit der Kunsthalle sollen nicht nur Werke als Leihgaben in die Region gebracht werden. Es soll auch ein Ort der Kunstproduktion entstehen. Verschiedene Atelierräume bieten Arbeitsplätze für Künstler, die im Rahmen eines Artists-in-Residence-Programms mehrere Wochen im Hospiz Hotel verbringen und die dort entstandenen Arbeiten in der 600 Quadratmeter großen Kunsthalle zeigen sollen. Ergänzt wird das Werkstatt-Ausstellungsgebäude um einen Konzertsaal für 160 Personen, der am 4. Oktober offiziell eingeweiht worden ist. Die Fertigstellung der Kunsthalle und der Atelierräume ist für Ende November geplant.
Fließender Übergang
Die Umsetzung des 1.500 Quadratmeter großen Kulturensembles lag in den Händen des Architekten Jürgen Kitzmüller. „Schuhkartons sind nur eine Facette der Architektur. Dinge, die fließen, dampfen oder tropfen, interessieren mich viel mehr“, sagt der Tiroler Architekt, der derzeit auch die organisch geformte Seilbahnstation der Rüfikopfbahn in Lech projektiert. Dennoch ist in zehn Monaten Bauzeit in St. Christoph kein Blob entstanden. Der zu zwei Dritteln unterhalb der Erde liegende Konzertsaal wächst in dynamischer Wellenbewegung aus dem Boden heraus und schließt zusammen mit dem acht Meter hohen Hauptausstellungsraum der Kunsthalle direkt an das Hotel an. Mit dieser Bauform konnte ein etwas klobiger Anbau aus den sechziger Jahren kaschiert werden, der im Obergeschoss den zentralen Frühstücksaal sowie im Erdgeschoss ein großes Sportgeschäft aufnimmt.
Klingendes Schiff
Sitzt das Hotel direkt auf einem Felsen auf, wurde das Kulturzentrum mitten in einem zwanzig Meter tiefen Hochmoor realisiert. Um dem Auftrieb entgegenzuwirken, musste die Betonwanne mit 600 Ankern im Gestein verankert werden. „Wir sitzen insofern tatsächlich in einem Schiff “, erklärt Jürgen Kitzmüller lachend, der die nautische Thematik zugleich als Leitbild für die Planung des 250 Quadratmeter großen Konzertsaales begriff. Die Wände sind mit Planken aus weiß geöltem Eichenholz verkleidet, die normalerweise auf Schiffdecks verwendet werden. Hinter Schichten aus Akkustikflies und schweren Gipsplatten verbirgt sich eine vollflächig verschweißte Stahlkonstruktion, die schwingend in der Betonwanne gelagert ist.
Akustisches Sandwich
„Die Vorgabe der Akustiker war, dass jeder Quadratmeter Wand 20 Kilogramm wiegen muss. Das klingt wenig, ist aber wahnsinnig viel“, sagt Jürgen Kitzmüller. Viel Wert wurde auf die Stimmigkeit der Details gelegt. So schält sich der Rang mitsamt des Geländers passgenau aus den Holzlamellen der Wände heraus. In ein schwarzes, horizontales Metallband wurden sämtliche Lüftungsschlitze integriert, so dass sie nicht als Fremdkörper wahrgenommen werden. Eine Besonderheit findet sich an der Rückseite des Saals: Dort, wo das gewellte Dach seinen höchsten Punkt erreicht, öffnet sich der Raum zum Tageslicht. Die schmalen, vertikalen Fenster lassen an abstrahierte Tasten eines Pianos denken und können bei Bedarf schnell abgedunkelt werden.
Kultur durch Wohnen
Um die Baukosten von 13 Millionen Euro wieder einzuspielen, wurden an der Südseite des historischen Hotelgebäudes zwei Wohnhäuser errichtet. Die 17 Eigentumswohnungen mit Größen zwischen 120 und 240 Quadratmetern konnten für 26 Millionen Euro verkauft werden – genug, um neben den Wohnhäusern auch die Kunsthalle sowie den Konzertsaal zu finanzieren. Der Betrieb wird fortan allein aus Mitteln des Hotels bewältigt werden. Liegt die künstlerische Planung in den Händen des Büros sektion.a aus Wien, wird das musikalische Programm vom deutschen Festivalintendanten und Konzertveranstalter Peter Vogel kuratiert.
Ambitioniertes Programm
150 Konzerte und wechselnde Ausstellungen sind künftig pro Jahr geplant – wovon sich das Hotel nicht nur neue Gäste erhofft. Nachdem das Haus bislang von Mai bis November geschlossen war, wird künftig eine sommerliche Nutzung anvisiert – eine Kalkulation, die aufgehen könnte. Schließlich lockt die Seebühne im nahen Bregenz hunderttausende Besucher in die Region, die ebenso in der Kunsthalle am Arlberg und in ihrem hölzernen Musiksaal Station machen könnten. Dennoch bleibt ein nicht unerhebliches Risiko für den Bauherren, der dieses Projekt ohne finanzielle oder institutionelle Unterstützung gestemmt hat. Einen Namen muss sich nicht nur der Musiksaal über die Region hinaus erarbeiten. Auch die Kunsthalle, mit der statt zugkräftiger Stars vor allem neue Talente gefördert werden sollen, muss ihren Platz auf der Kunstagenda erst finden.
FOTOGRAFIE Elias Hassos
Elias Hassos