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„Restlos Glücklich“ und satt Berliner gründen das erste Reste-Restaurant in Deutschland

12.08.2015, 14:03 Uhr

Kaum ist die Möhre etwas schrumpelig, landet sie im Müll. Rund 18 Millionen Tonnen Lebensmittel werden jährlich in Deutschland weggeworfen. Sechs Berliner gründen jetzt das erste „Reste-Restaurant“ in Deutschland.

Wenn Anette Keuchel auf den Wochenmarkt geht, schließen die ersten Stände bereits. Die Händler verstauen die restlichen Möhren, Kohlköpfe und Tomaten zum Transport in Kisten. „Aber eben nicht alles“, erzählt die 38-Jährige. Bananen mit Druckstellen oder Salat mit etwas schlaffen Blättern landen oft im Müll. Keuchel aber nimmt sie mit. Im Oktober wird sie häufiger kommen - dann eröffnet sie mit fünf Mitstreitern das erste Restaurant Deutschlands, das nur mit Lebensmittelresten kocht. Mit dem Gewinn von „Restlos Glücklich“ wollen sie Bildungsprojekte anstoßen.

Die Idee dazu fand Anette Keuchel in einem Zeitungsartikel über das Kopenhagener Reste-Restaurant „Rub og Stub“ (restlos alles). „Da sowieso ein Familienurlaub in Dänemark geplant war, habe ich mir das Restaurant einfach mal angesehen. Ich war sofort begeistert“, erzählt die zweifache Mutter. Wieder zurück in Berlin begann sie mit den Planungen.

Noch genießbar in die Tonne

Rund 18 Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland jährlich weggeworfen. Das geht aus einer Studie der Naturschutzorganisation WWF hervor, die im Juni veröffentlicht wurde. Demnach landen zehn Millionen Tonnen Lebensmittel in privaten Küchen und der Gastronomie in der Tonne - obwohl sie noch genießbar wären. Aber auch bereits beim Bauern oder im Supermarkt werden Obst, Gemüse oder andere Waren teilweise aussortiert. „Das kann an einer ungewöhnlichen Form oder Farbe liegen. Oder daran, dass den Händlern der Lagerraum fehlt, weil schon neue Ware geliefert wurde“, erklärt Umweltwissenschaftlerin Keuchel.

Ehrenamtliche Helfer

An diesem Punkt wollen die Restaurant-Gründer ansetzen. Für die Menüs werden sie jeweils am Vortag bei Bauern oder Supermärkten in der Region nach überschüssigen Lebensmitteln fragen. „So wird es jeden Tag eine neue Speisekarte geben“, sagt Keuchel. Derzeit arbeitet ein Kernteam aus sechs Personen an dem Projekt - alle engagieren sich ehrenamtlich in ihrer Freizeit. Auch beim Service-Personal setzt die Gruppe auf ehrenamtliche Helfer. „Das soll nicht nur unser Ding sein. Wir wollen möglichst viele einbeziehen“, so Keuchel. Für den Küchen-Betrieb sollen zusätzlich zwei Köche eingestellt werden.

Umdenken!

Keuchel wünscht sich vor allem, Menschen zum Umdenken zu bringen. „Die Leute sollen zweimal überlegen, ob die etwas schrumpelige Möhre im Kühlschrank schon reif für den Müll ist.“ Eine Lektion mit erhobenem Zeigefinger sollen die Besucher im Restaurant aber nicht bekommen. „Wenn es funktioniert, super! Wenn nicht, hatten die Gäste wenigstens einen schönen Abend“, findet Keuchel.

Im Bekanntenkreis musste die gebürtige Freiburgerin erst einmal Aufklärungsarbeit leisten, wenn sie von ihrem Restaurant-Projekt erzählte. Besonders Freunde und Verwandte außerhalb der an Innovationen gewöhnten Großstadt Berlin waren anfangs skeptisch. „Es ist ja nicht so, dass wir Essensreste aus der Tonne holen“, stellt Keuchel klar. Dennoch habe die Verwertung der Lebensmittelreste auch ihre Grenzen. Es werde genau darauf geachtet, dass alles genießbar und gut ist.

Keine Konkurrenz

Eine Konkurrenz zu der gemeinnützigen Arbeit der „Berliner Tafel“ soll „Restlos Glücklich“ nicht sein, betont Keuchel. „Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, Bedürftigen das Essen wegzuschnappen.“ Ziel sei eher eine Art Austausch von Konzepten und Esswaren. Das könnte sich auch Tafel-Vorsitzende Sabine Werth gut vorstellen. „Ein sympathischer Vorschlag, der unserer Arbeit sehr nahe steht.“

Derzeit sucht die Gruppe um Keuchel nach Gastronomie-Räumen für rund 50 Personen - am liebsten in Kreuzberg oder Neukölln. Um das als Non-Profit-Restaurant gedachte Projekt finanzieren zu können, startet Mitte August eine Crowdfunding-Kampagne. „Der Gewinn, den der Laden eines Tages hoffentlich abwirft, soll in Bildungsprojekte zum Thema Ernährung investiert werden“, kündigt die angehende Gastronomin Keuchel an - zum Beispiel damit Kinder lernen, gute von verdorbenen Lebensmitteln zu unterscheiden. Tafel-Vorstand Werth weiß um die schwierige Finanzierung von solchen Projekten, ist sich aber sicher: „Der Bedarf besteht unbedingt.“

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