Check-in per App : Ein Hotel ohne Rezeption
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Schöne, neue Schani-Welt: Die Bar ist der zentrale Anlaufpunkt für Gäste. Bild: Godany, Jacqueline
In Wien hat ein Hotel 4.0 eröffnet. Weil PC und Telefon den Check-in erledigen, bleibt mehr Zeit für die Arbeit – und einen Plausch mit den Barkeepern.
Eine Herberge 4.0 - kann das klappen? Oft ist die Besorgnis zu hören, die vernetzte Wirtschaft führe zu Anonymisierung und Seelenlosigkeit und sei deshalb für Dienstleistungen ungeeignet. Weil das Individuum im direkten Austausch zwischen den Maschinen entbehrlich werde, entmenschliche das Konzept gewissermaßen die Arbeitswelt. Dass das nicht sein muss, will das Hotel Schani in Wien zeigen, eine der ersten digitalisierten Unterkünfte der Welt und nach eigenen Angaben das einzige Coworking-Hotel in Europa.
Hier nimmt die Elektronik dem Kunden und dem Personal lästige technische Arbeiten ab, so dass mehr Zeit für die Dinge bleibt, die Rechner eben nicht erledigen können. „Der Gast checkt entspannt mit Smartphone oder Computer ein, und unsere Mitarbeiter können dann in Ruhe seine Fragen beantworten“, sagt der Geschäftsführende Gesellschafter, Benedikt Komarek.
Zum Beispiel, wo man gut essen kann, welches Konzert zu empfehlen ist, welcher Club gerade angesagt ist. „Wir sind kein Automaten-Hotel, im Gegenteil“, versichert der 34 Jahre alte Manager. „Ein smartes Haus führt zu mehr Individualität und zu mehr persönlichem Austausch, nicht zu weniger.“
Und die Tür springt auf
Es gibt zwei Wege, um im Schani ein Zimmer zu beziehen und sich langes Warten an der Rezeption zu ersparen. Gebucht wird in beiden Fällen online wie in vielen Häusern, doch im Unterschied zur Konkurrenz kann der Gast schon im Netz ein bestimmtes Zimmer auswählen. Dazu ruft er in der gewählten Preiskategorie einen Stockwerksplan auf und klickt auf den gewünschten Raum.
Sind die Kontakt- und Bezahldaten erfasst, erhält der Reisende am reservierten Tag automatisch Zugang zum Zimmer. Entweder dient sein internetfähiges Mobiltelefon als Schlüssel. Oder er gibt an einem der vielen Terminals in der Lobby seinen Namen ein, unterschreibt elektronisch auf einem „Signo-Pad“, und schon wirft die Maschine eine Schlüsselkarte aus.
Ankömmlinge, die die Berechtigung schon auf ihrem Telefon haben, können direkt und zu jeder Zeit ihr Zimmer beziehen. Dafür drücken sie in der Schani-App auf die Taste „Tür öffnen“, der Apparat kommuniziert mit einem Sicherheitsserver, und das Schloss springt auf.
Klein und geschmackvoll
Die Zimmer sind klein, zweckmäßig, geschmackvoll. Offenes Bad, wie in vielen modernen Unterkünften, damit der Raum großzügiger wirkt, aber abgetrennte Toilette. Eine extradicke Taschenfederkernmatratze und viele liebevolle Details: putzige Zahnputzbecher aus Emaille, eine wandfüllende Wien-Karte mit Magneten zum Markieren der besuchten Orte, natürlich viele Steckdosen zum Aufladen der „Endgeräte“ moderner Reisender. Daneben fest integrierte USB-Anschlüsse, damit Gäste aus Großbritannien oder Amerika keine Adapter brauchen.
Aus der Polsterbank vor dem Fenster ragt die grazile Rückenlehne eines Caféstuhls heraus, als wären Sofa und Sessel verschmolzen, davor steht der passende Rundtisch aus Carrara-Marmor. Das Teppichmuster im Korridor vor den Zimmern zitiert das Fliesenmuster aus alten Wiener Zinshäusern, also Mietshäusern. Ähnliche Anleihen schmücken die Lobby, etwa ein altmodisches Waschbecken, das man bis heute in den Stiegenhäusern mancher Gebäude findet.
Hier unten stößt man auch wieder auf die typischen Thonet-Stühle aus den Wiener Kaffeehäusern. Ebendarin besteht der Charme des Schani: Es kombiniert modernste Technik mit lokaler Verbundenheit, aber nicht im Sinne des etwas peinlichen Retrolooks anderer Häuser, sondern immer mit einem Augenzwinkern. Die Verwurzelung mit der Stadt drückt sich schon im Namen aus. Schani ist wienerisch für Johann, abgeleitet wohl vom italienischen Gianni oder vom französischen Jean; der jüngere Johann Strauß wurde so genannt. Seit dem 18. Jahrhundert soll der Name eine Sammelbezeichnung für Dienstboten und Kellner gewesen sein.
„Das ist wie bei Low-Cost-Flügen“
Das Lokalkolorit im Hotel Schani ist mehr als Masche. Als alte Wiener Hoteliersfamilie sind die Komareks ihrer Heimat eng verbunden. Benedikt und sein Bruder verkörpern schon die vierte Generation. Ihr zweites Haus, das Hotel Gallitzinberg, liegt westlich der Innenstadt am Rande des Wienerwalds. Es ist viel kleiner und traditioneller als der neue Bau, aber auch hier geht die Familie mit der Zeit: 1999 wurde das „Umwelthotel Gallitzinberg“ als einer der ersten Wiener Gastbetriebe mit dem österreichischen Umweltzeichen geehrt.
Der Schwesterbetrieb, das Schani, eröffnete im April direkt neben dem neuen Wiener Hauptbahnhof. Auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs und weiterer Eisenbahnanlagen entstehen derzeit gleich zwei Stadtteile, das Quartier Belvedere und das Sonnwendviertel. 550.000 Quadratmeter Büro- und Wohnflächen wachsen hier aus dem Boden, für 20 000 Arbeitsplätze und 13 000 Bewohner.
Noch wirkt das Grätzl, wie man einen Wiener Kiez nennt, etwas unfertig, aber die Lage für den Hotelneubau mit seinen 135 Zimmern ist vielversprechend. Auch die Preise sind attraktiv. Das günstigste Zimmer kostet ohne Frühstück für eine Person 62,10 Euro pro Nacht und für zwei Personen 71,10 Euro. Dafür muss man die Buchung im Voraus bezahlen und kann sie nicht mehr ändern. „Das ist wie bei Low-Cost-Flügen“, sagt Komarek, „bei den Airlines haben wir uns viel abgeschaut, auch was den elektronische Check-in angeht.“
Skateboards, Roller und Babystühle
Einen Empfang im klassischen Sinne gibt es im „Schani“ nicht mehr. Zentrum der Lobby ist eine Bar mit rechteckig umlaufendem Tresen. Die Mitarbeiter dort, zwei von 25, sind Rezeptionisten und zugleich Barkeeper. An den Fenstern des großen hellen Raums stehen Sitzgruppen, im hinteren Teil ist das Frühstückscafé untergebracht. An einer Wand hängen acht Skateboards, davor lehnen zwei Babystühle und ein Roller.
Wie in jedem gastronomischen Betrieb Wiens liegen Dutzende Zeitungen und Zeitschriften aus, eine Bibliothekswand lädt zum Schmökern ein. Offenbar wollen selbst eingefleischte Internetfreunde auf das gedruckte Wort nicht ganz verzichten.
Eine offene Treppe führt in die Galerie für das Coworking hinauf. Damit ist ein Großraumbüro gemeint, in dem an verschiedenen Schreibtischen Freiberufler und andere individuell tätige Personen zusammensitzen, ohne notwendigerweise zusammen zu arbeiten. Sie nutzen aber die gleiche Infrastruktur und können bei Bedarf kooperieren. Das „Schani“ stellt ihnen neben dem Raum und dem Mobiliar auch Geräte wie Drucker und Scanner zur Verfügung und vor allem einen besonders leistungsfähigen Internetzugang. Das Angebot richtet sich nicht allein an Gäste, sondern auch an Externe, die den Arbeitsplatz auf Zeit mieten können.
Projekt „Future-Hotel“
Die moderne Ausrichtung des Hotels ist nicht zuletzt ein großes Experiment. Da es weit und breit keine Vorläufer gibt, weiß niemand, ob die Rechnung am Ende aufgeht. Allein sind die Betreiber jedoch nicht, denn hinter dem Projekt steht das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation. Es probiert in Wien seine Erkenntnisse aus einem Forschungsvorhaben mit dem vielsagenden Namen Future-Hotel aus.
Ein wichtiges Ergebnis der Analysen und Gästebefragungen war, dass in der modernen Lebenswelt auch auf Reisen das Arbeiten immer mehr mit der Freizeit verschmilzt. Dem trägt das Schani Rechnung, indem es sich als ebenso gemütlich wie zweckmäßig präsentiert - vor allem als äußerst effizient.
Noch stößt man allerdings an Grenzen, vor allem außerhalb der eigenen Verantwortung. Dass die Zeitungszusteller die Adresse in dem neuen Viertel nicht kennen, lässt sich vielleicht mit der fehlenden Dynamik der „Old Economy“ entschuldigen. Aber selbst Google, der Inbegriff von Tempo und Vernetzung, hat sich mit dem 4.0-Hotel lange schwergetan: Einige Gäste konnten das Haus nicht finden, weil es weder auf Google-Maps noch auf Google-Earth verzeichnet war.